Kommentar: Rolex auf Abwegen
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Rolex ist sicher der heilige Gral in der Uhrenwelt – jedenfalls wenn es um Luxusuhren geht. Die Wertentwicklung der beliebten Sportmodelle der letzten 3 Jahre hat gezeigt: Die Nachfrage ist um ein Vielfaches größer als das Angebot. Die Warteliste 2023 dürfte nur marginal kürzer sein als die bisherigen Wartelisten (sofern man überhaupt von „Listen“ sprechen kann, aber mehr dazu später).
Auch wenn die Preise auf dem Sekundärmarkt in den letzten Monaten erheblich Federn gelassen haben, ist das Preisniveau verrückt. Mehr als das Doppelte des Listenpreises ist für viele Modelle (Daytona, GMT-Master II, Air-King) immer noch eher die Regel als die Ausnahme. Wie sich die Preise bei wieder fallenden Zinsen und erholender Konjunktur entwickeln werden, ist aktuell noch gar nicht absehbar.
Und dennoch entfernt sich Rolex immer weiter von den eigenen historischen Wurzeln. Die Marke entwickelt sich weg vom praktischen, bodenständigen und den eigenen Prinzipien treu bleibenden Unternehmen, das vor mehr als 100 Jahren von Hans Wilsdorf gegründet worden ist. In diesem Beitrag zeigt der Autor vier exemplarische Gründe auf, warum sich Rolex seiner Meinung nach auf Abwegen befindet.
Grund 1: Die Rolex DeepSea Challenge
Die wohl am heißesten diskutierte Neuvorstellung von Rolex im Jahr 2022 war keines der regulär auf der Messe im Frühjahr vorgestellten Modelle. Zwar sind die neue Air-King und weitere aktualisierte Modelle rege diskutiert und gut angenommen worden; das Highlight wurde jedoch in der zweiten Jahreshälfte ohne viel Tamtam präsentiert und wirft mehr als nur ein paar Fragezeichen auf: Die Rolex DeepSea Challenge.
Die erste moderne Titan-Uhr von Rolex mit der Referenz 126067 wird von vielen als historisch bedeutende Neuinterpretation der DeepSea Challenge gesehen – der Uhr, die einst an der Außenhülle eines U-Boots die Tiefen des Marianengrabens durchschwamm und dann auch noch voll funktionsfähig wieder an die Oberfläche zurückkehrte. Die gigantischen Dimensionen von 50 mm ohne Krone der 126067 tragen ihr Übriges zur Polarisierung der Rolex-Fans bei.
Aber was soll uns dieses Modell eigentlich sagen? Bei der DeepSea Challenge handelt es sich nicht um ein auch nur halbwegs tragbares Modell, bereits wegen der 50 mm Breite aber vor allem auf Grund der lächerlich wirkenden Bauhöhe der Uhr von stolzen 23 mm. Der Mythos der von Männern und Frauen gleichermaßen tragbaren, stilsichern und dennoch praktischen Armbanduhren wurde mit diesem Modell auf dem Altar der Polarisierung zu Grabe getragen.
Zudem ist Titan ein mehr als schwierig zu pflegendes und aufzuarbeitendes Material. Die Ablesbarkeit der Uhr geht auf Grund der enormen Tiefe des Gehäuses und des 9,5 mm starken bombierten Saphirglases gegen 0. Kenner der Marke sehen in den verkorkst wirkenden Linien der Uhr einen ähnlichen Design-Unfall wie damals mit der 41 mm großen Day-Date II, die schlicht und ergreifend unpassende Proportionen hatte.
Was sich Rolex bei diesem Modell eigentlich gedacht hat, bleibt wohl weiter ein wohl gehütetes Geheimnis in den Hallen in Genf.
Grund 2: Preiserhöhungen und Preisstruktur
Zugegeben: In Zeiten von Rekord-Inflation, Nachfrage-Überhang und Konkurrenzdruck sind Preiserhöhungen nicht wirklich fernliegend. Uhrenmarken wie Audemars Piguet oder Luxusmarken wie Chanel oder Hermés erhöhen mittlerweile rund 3 mal jährlich ihre Listenpreise. Auch Rolex zieht hier mit. Der jüngste Anstieg um fast 10 % im Durchschnitt setzt dem Ganzen nur noch eine weitere Krone auf.
Aber wie passt das zum historischen Bild der Marke? Hans Wilsdorf wollte Rolex als erschwingliche, zuverlässige und alltagstaugliche Armbanduhr am Markt platzieren. Dass eine Umorientierung hin zum Luxussegment nach der Quarzkrise nötig war, um das Überleben der Schweizer Uhrenindustrie zu sichern, ist dem Autor natürlich bekannt. Dennoch sorgt das mittlerweile enorm hohe Preisniveau dafür, dass sich Rolex von der ursprünglichen Idee hinter der Marke entfernt.
Das Schweizer Unternehmen befindet sich im Besitz der Hans Wilsdorf Stiftung. Der Gründer der Marke wird als Heiliger gefeiert, zahlreiche Innovationen gehen zurück auf seinen Geschäftssinn und seine Visionen für Rolex und die Armbanduhr im Allgemeinen. Dass eine BiColor Sky-Dweller nun an der 20.000 € Marke kratzt, dürfte wirtschaftlich für Rolex zwar sinnvoll sein – damit entfernt sich die Marke aber immer mehr von der eigentlichen Vision des Gründers, wie Rolex sein sollte. Und wie es eben nicht sein sollte.
Grund 3: Farben, Armbänder & Co.
Insbesondere die weibliche Rolex-Kundschaft dürfte im letzten Jahr nicht schlecht gestaunt haben, als zahlreiche sehr beliebte Farben der Oyster Perpetual Serie plötzlich nach nur einem Jahr Produktionszeit wieder eingestellt wurden. Die Gründe hierfür mögen ein Geheimnis bleiben – die Liefersituation dürfte in Genf aber natürlich mehr als bekannt sein. Wie also will man rechtfertigen, nur 1 Jahr produzierte Modelle wieder einzustellen, wohlwissend, dass zahlungsbereite Kundschaft sehnsüchtig auf die Uhren wartet?
Im gleichen Zuge beschränken sich die Innovationen von Rolex auf das Austauschen von Zifferblatt-Farben und Armbändern. Die GMT-Master II „Pepsi“ am Oyster-Band war bisher nur der Weißgold-Variante vorbehalten, im Jahr darauf gibt es sie plötzlich auch in Edelstahl am Oyster-Band. Gleichzeitig werden 70 Stunden Gangautonomie als Innovation gefeiert, während Rolex hier tatsächlich nur Schritt für Schritt nachholt, was andere Luxusmarken bereits längst im Programm haben.
Ja, die Uhren in Genf ticken langsam. Und die Ziele der Marke mögen für Außenstehende nicht immer klar erkennbar sein. Eine so auf Innovation und technische Versiertheit fokussierte Marke wie Rolex sollte sich nach Meinung des Autors aber nicht darauf ausruhen, hier und da ein paar Farben und Armbänder auszutauschen und dies dann als den großen Wurf zu präsentieren. Echte Innovation findet man bei Rolex aktuell eher selten – auch „Evolution statt Revolution“ kommt eben irgendwann an seine Grenzen.
Grund 4: Wartelisten und Kommunikation
Der vierte Grund, warum Rolex wohl zunehmend die Bodenhaftung verliert (oder verlieren könnte) ist die mangelhafte Kommunikation im Hinblick auf Wartelisten. Denn die gibt es schlicht und ergreifend nicht. Das mag für einige Neulinge in der Uhrenwelt erschreckend sein („Was, ich stehe doch schon seit 2 Jahren auf der Warteliste für meine Daytona?!“), doch so sieht es nunmal aus. Juweliere verteilen die Modelle, die sie ausgeliefert bekommen, nach eigenem Gutdünken. Chronologisch abzuarbeitende Listen existieren schlicht und ergreifend nicht.
Viele offizielle Konzessionäre geben Rolex Sportmodelle nur noch mit „Beikäufen“ ab. Egal ob der Name des bekannten Konzessionärs nun mit „B“, „R“ oder „W“ beginnt: Paket-Deals gehören zum daily business in der Uhrenwelt. Und Rolex? Sieht das Ganze seelenruhig mit an, während die eigene Ware bei den Konzessionären als Leckerli für treue Kunden abgegeben wird. So funktioniert Brand Building nicht – und im Sinne des bereits mehrfach genannten Gründers des Unternehmens ist diese Art der Geschäftspolitik sicher auch nicht.
Fazit: Quo vadis, Rolex?
Es ist einfach kompliziert. Rolex ist beliebt, jeder will eine Rolex und dennoch sorgen diese und viele weitere Gründe dafür, dass sich im Sammler-Bereich immer mehr Enthusiasten von der Marke mit der Krone abwenden. Das hat betriebswirtschaftlich sicher keine Auswirkungen auf die Schweizer, da die Masse an Neukunden in Asien und den USA den extrem kleinen Kreis an europäischen Sammlern bei weitem in den Schatten stellt.
Dennoch ist es doch durchaus mal einen Gedanken wert, ob die Vision des Gründers Hans Wilsdorf wirklich war, dass eine eigentlich als innovative, grundsolide und bodenständig-luxuriöse Marke für Armbanduhren heute als Verkaufsmotor für unbeliebte Modelle der Juweliere gesehen wird, der abgesehen von fehlenden Innovationen und blindem Modell-Wirrwarr kaum noch wirklich Neues zu bieten hat? Die Zeit wird es zeigen.
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